Jan Knupper · Kirchenstr. 1 · 24105 Kiel · jan@knupper.info

Das letzte Wort

bestattungskultur 01.2020
bestattungskultur 02.2021

Das letzte Wort vor dem Tod – eine ganz besondere Botschaft? Was sagten berühmte Dichter, Denker und Philosophen ganz zum Schluss? Der Revolutionär Schiller rief nach seinem Richter, der farbenfaszinierte Goethe forderte mehr Licht und Karl May erblickte einen großen Sieg. Manchmal war es auch nur – wie bei Oscar Wilde – ein schlecht tapeziertes Zimmer, das zum Gegenstand eines berühmten letzten Zitats wurde.

Absicht oder Zufall?

Bedeutungsvoll, wohlüberlegt oder einfach nur zufällig? Viele Schlusssätze berühmter Menschen sind schlichte Zufallsergebnisse. Eines der bekanntesten Zitate dieser Art stammt von James Dean, der bei einem Autounfall starb: Der Typ muss anhalten. Er wird uns schon sehen. Eine tödliche Fehleinschätzung und ein berühmtes Beispiel für triviale Aussagen, die ihre Bedeutung erst durch das erlangten, was kurz danach geschah. Auch die letzten Worte von Michail Lermontow gehören in diese Kategorie: Auf diesen Dummkopf schieße ich nicht! Sein Gegner im Pistolenduell hatte weniger Skrupel.

Sokrates gehörte zu denen, die genug Zeit hatten, ihre letzten Worte zu wählen. Er war einer der bedeutendsten Philosophen der Weltgeschichte und hinterließ der Nachwelt viele denkwürdige Zitate. Doch seine letzten Worte gehören nicht dazu. Sie waren enttäuschend belanglos: Kriton, wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig. Entrichte ihm den. Versäume es nicht, sagte er, bevor er den Giftbecher leerte. Man hätte mehr erwartet von einem großen Mann, mit dessen Thesen sich noch Jahrtausende später die Menschen beschäftigen. Vielleicht war der geniale Denker aber auch schlau genug zu erkennen, dass es ganz am Ende auf Worte nicht mehr ankommt.

Letzte Worte als Spiegel des Lebens

Das Leben eines Dichters spiegelt sich oft – aber nicht immer – in seinen letzten Worten. Friedrich Schiller, der sich zeit seines Lebens mit der Gerechtigkeit beschäftigt hatte, rief am Ende seines kurzen Lebens nach dem Iudex, seinem Richter. Sein Freund Goethe, der im Alter von 82 Jahren starb, hatte sich in seinen späten Lebensjahren begeistert der Farbenlehre gewidmet – und forderte am Ende mehr Licht. Auch der Western-Autor Karl May blieb sich bis zum Schluss treu. Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot, triumphierte er vor seinem Eintritt in die ewigen Jagdgründe.

Einige letzte Worte zeugen von maßloser Selbstüberschätzung. Shakespeare, ich komme! verkündete der vergleichsweise unbekannte Dichter Theodore Dreiser. Und signifikant viele Zitate von Schriftstellern entlarven deren Liebe zum Alkohol – ein häufiges Phänomen unter kreativen Künstlern. Anton Tschechow bedauerte am Ende seines Lebens: Ich habe lange keinen Champagner mehr getrunken. Dylan Thomas dagegen rühmte sich: Ich hatte gerade achtzehn Whisky ohne Eis; ich denke, das ist der Rekord. Der Wirt der Gaststätte gab später allerdings zu Protokoll, dass der Waliser Dichter mit dieser Zahl ein wenig übertrieben hatte.

Mit Humor in den Tod

Seines Todes ist man gewiss, warum soll man nicht heiter sein? Dieser Satz stammt von Friedrich Nietzsche, dem bekannten Nihilisten und Gottesleugner. Es waren nicht seine letzten Worte, denn er starb in geistiger Umnachtung. Wir wissen nicht, ob er heiter und gelassen in den Tod ging. Was er ganz zum Schluss sagte oder ob er überhaupt noch etwas sagte, ist nicht bekannt.

Doch viele Dichter bewahrten sich ihren Humor tatsächlich bis zum Schluss. Zum Beispiel Oscar Wilde, der im selben Jahr wie Nietzsche starb. Wilde war schon zu Lebzeiten für seine humorvollen Aphorismen bekannt. Zwei Jahre Zuchthaus und Zwangsarbeit hatten seine Gesundheit ruiniert – aber nicht seinen Sinn für Ästhetik und gute Witze. Die letzten Tage verbrachte er in einem heruntergekommenen Hotel in Paris und seine letzten Worte galten der hässlichen Tapete in seinem Zimmer: Einer von uns beiden muss hier verschwinden. Oscar Wilde starb, die Tapete blieb.

Auch der berühmt-berüchtigte Groucho Marx bewies sein Talent als begnadeter Komiker bis zum letzten Atemzug. Sterben, meine Liebe? Also, das ist das Letzte, was ich tun werde. Groucho Marx hielt sein Versprechen.

Wahr oder falsch?

Viele Zitate sind falsch überliefert oder schlichte Fälschungen. Heinrich Heines angebliche Abgangsworte Gott wird mir verzeihen, das ist sein Beruf sind zwar erheiternd, aber nichtsdestotrotz erlogen. Gleiches gilt für die berühmten Schlussworte des Möchtegern-Dichters Nero: Welch ein Künstler geht mit mir zugrunde! – wahrscheinlich hat der römische Kaiser dies nie gesagt.

Wahrheit oder Dichtung? Vielleicht ist die Frage zweitrangig. Karl Marx' Abschiedssatz bringt es auf den Punkt: Letzte Worte sind für Narren, die noch nicht genug gesagt haben. Karl Marx hatte bereits genug gesagt. Die Wahrheit der Aussage wird dadurch unterstrichen, dass es nicht seine Sterbeworte waren. Marx' letzter Satz ist nicht bekannt, denn er starb allein.

Am Ende bleibt eine Frage

Letzte Worte als mystische Botschaften aus einer anderen Welt? Ein Blick ins Reich des Todes? Viel ist es nicht, was die Abschiedsworte von Sterbenden offenbaren. Doch einige Sterbezitate berühmter Schriftsteller scheinen bereits aus dem Jenseits zu stammen: Eine Leiter! forderte Nikolai Gogol, der sich in seinem literarischen Werk immer wieder mit dem Symbol der Leiter als Weg in den Himmel beschäftigt hatte. Ich muss reingehen, denn der Nebel steigt auf stellte Emily Dickinson kurz vor ihrem letzten Atemzug fest. Die Unbeschreiblichkeit des Übergangs findet sich in vielen Aussprüchen: Welche Qual, keine Worte für einen Gedanken zu finden (Fjodor Tjutschew); Versteht es niemand? (James Joyce); Ich weiß es nicht (Petrus Abaelardus).

Eine Antwort auf die ewige Frage, was einen Sterbenden erwartet, liefert auch die Analyse letzter Worte nicht. Aber vielleicht weisen die Abschiedsworte Gertrude Steins in die richtige Richtung: Was ist die Antwort? fragte sie auf dem Sterbebett. Und nachdem niemand etwas darauf sagte: Gut, in diesem Fall: Was ist die Frage?

Jan Knupper


Dieser Artikel erschien erstmals im Magazin bestattungskultur vom Februar 2021.


knupper.info

© Jan Knupper 2018 – 2024 | Datenschutz | HTML & CSS powered by getskeleton.com
gehosted von
manitu